"Jin, Jiyan, Azadî" ("Frau, Leben, Freiheit") hallte es ab September 2022 mindestens ein Jahr lang durch die Straßen westlicher Metropolen. Der Fokus damals lag auf der Frauenrechtslage im Iran, ausgelöst durch den gewaltsamen Tod der Kurdin Jina Mahsa Amini. Heute transformiert sich Syrien unter Ahmed al-Scharaa faktisch zum Emirat. Die Situation der Frauen gerät jedoch aus dem Blick. An vorderster Front kämpfen erneut Kurdinnen, um das Thema auf die Agenda der Weltöffentlichkeit zu setzen. Eine Kampagne, maßgeblich angeführt von dem kurdischen Frauenverband Kongra Star, fordert vollständige politische Teilhabe und Gleichberechtigung der Geschlechter.
"Durch die Einheit der Frauen bauen wir ein freies, demokratisches und dezentrales Syrien", lautet der Titel des Begehrens, mit dem sich die Beteiligten in einem Offenen Brief an den UN-Sicherheitsrat, das Büro des Sonderbeauftragten für Syrien, UN Women und die Frauenbehörde der Arabischen Liga wandten. Ausgangspunkt ist die desolate Lage von Frauen und ethnischen Minderheiten unter der syrischen Übergangsregierung. In der Kampagnenerklärung heißt es: "Der Ausschluss von Frauen und kulturellen sowie religiösen Minderheiten von einer sinnvollen Beteiligung an der Entscheidungsfindung ist eine der tiefgreifendsten Manifestationen der Syrien-Krise." Die Organisationen beklagen: "Heute wird Syrien von Krieg und Fundamentalismus erschüttert. Gemeinschaften wie die Drusen und die Alawiten werden angegriffen, und Frauen werden entführt."
Jagd auf Frauen und ethnische Minderheiten
In der Tat ist die Situation für Frauen und Minderheiten unter den neuen Machthabern Syriens äußerst besorgniserregend. Übergangspräsident Ahmed al-Scharaa und die von der islamistischen Hai'at Tahrir asch-Scham-Miliz (HTS) dominierten syrischen Streitkräfte kontrollieren die Hauptstadt Damaskus sowie weite Teile der Gebiete, die zuvor vom Assad-Regime gehalten wurden. Auch das Gouvernement Idlib, das HTS sich unter al-Scharaa als damaligem Anführer bereits 2017 während des Bürgerkriegs einverleibt hat, steht weiterhin vollständig unter seiner Herrschaft.
Zwar versucht al-Scharaa nach außen hin ein moderates Bild zu präsentieren und hat angedeutet, die HTS-Kräfte zügeln zu wollen, um internationale Anerkennung zu erhalten. Doch aus der Islamismusforschung weiß man erstens, wie langwierig tatsächliche Deradikalisierung ist, und zweitens, dass islamistische Akteure das strategische Spiel des doppelten Gesichts perfekt beherrschen. Auch die Entwicklungen seit der Staatsübernahme geben wenig Anlass zur "Hoffnung". Die HTS-Ideologie und Verhältnisse in Idlib lassen erahnen, was ganz Syrien erwarten könnte.
Die Haltung von HTS zur Rolle der Frau folgt weitgehend dem islamischen Familienrecht der Scharia und ist massiv patriarchal geprägt. Im HTS-Gebiet existieren kaum formale Schutzrechte, stattdessen eine Vielzahl repressiver Vorgaben. Frauen sind rechtlich nicht gleichgestellt und häufig einem männlichen Vormund unterstellt. Scharia-Gerichte entscheiden insbesondere in Fällen von Scheidung, Sorgerecht, Gewalt oder Eigentum nahezu durchgängig zum Nachteil von Frauen. Unter der Direktion von HTS-Funktionären haben Betroffene häuslicher oder sexualisierter Gewalt kaum einen sicheren Zufluchtsort, NGOs und Frauenrechtsorganisationen können nur äußerst eingeschränkt arbeiten. Häusliche Gewalt wird selten verfolgt, Vergewaltigung in der Ehe nicht als Straftat anerkannt. Zwangsverheiratungen, Kinderehen, Ehrenmorde und sogenannte "Sittlichkeits"-Festnahmen sind unter HTS "Normalität". Letzteres betrifft insbesondere strikte Kleidungsvorschriften.
Der Autor Danyal Casar dokumentiert auf seinem Blog Cosmoproletarian Solidarity, dass HTS in Idlib die Bekleidungsvorschriften sogar strenger durchgesetzt haben soll als die Taliban zunächst in Afghanistan. Eine im Wesentlichen in Idlib sowie in angrenzenden Teilen der Provinzen Aleppo und Hama eingesetzte Patrouille namens "Hisbah" – vergleichbar mit der iranischen Sittenpolizei – überwachte "Moralvergehen" und drohte Frauen mindestens bis Ende 2024 mit Haft, wenn sie keine Ganzkörperverhüllung trugen oder ihr Schleier "zu hell" war. Noch ist unklar, ob die Institution der Hisbah künftig in ganz Syrien eingeführt wird oder ob sie im Zuge der angestrebten "Normalisierung" abgeschafft oder lediglich umbenannt wird.
Casar beobachtete zudem, dass ein ehemaliger Scharia-Gelehrter der HTS, Ibrahim Shasho, heute Dekan der Scharia-Fakultät der Universität Aleppo ist und Schwarz als "anständigste" Farbe für die entmenschlichende Robe propagiert. Im Juni 2025 gab das syrische Tourismusministerium eine Richtlinie heraus, die Frauen vorschreibt, an öffentlichen Stränden Burkinis oder andere konservative Badebekleidung zu tragen. Adel Hawrami, Sprecher von AINDE, dem Kurdistan Future Movement, äußerte gegenüber dem hpd die Befürchtung, dass "Maßnahmen wie das sogenannte 'Gesetz zur öffentlichen Moral' dazu dienen sollen, die Kontrolle über das gesellschaftliche und private Leben von Frauen weiter zu verschärfen."
Mehrere dokumentierte Frauenmorde unterstreichen die alarmierende Lage. Kurz nach al-Scharaas Amtsantritt tauchte ein Video aus dem Jahr 2015 nahe Aleppo auf. Darin ordnet ein als Scharia-Richter auftretender Mann die öffentliche Exekution einer Frau wegen "Ehebruchs (Prostitution)" an. Der Mord erfolgte im Namen der Al-Nusra-Front, dem Vorläufer der HTS. Der Feldrichter hat auffällige Ähnlichkeit mit Shadi al-Waisi, dem ersten Justizminister unter al-Scharaas-Interimsregierung, was viele Kenner für möglich halten.
Es blieb nicht bei diesem Fall. Während der Massaker sunnitischer Milizen an Alawiten in der Küstenstadt Banias im März 2025 hetzte Hassan Abu Qasra, ein hochrangiger Funktionär im Energiesektor der momentanen Übergangsregierung, die Menge mit den Worten "die Frauen der Rafida" – jene, die den sunnitischen Islam "verleugneten" – müssten "zu Witwen gemacht werden" auf. Zudem diffamierte er alawitische Frauen als "Mut'ah-Huren", wobei es sich um eine Anspielung auf die zeitlich begrenzte "Vergnügungsehe", die im schiitischen Islam präsent ist, handelt. Seither häufen sich Berichte über Verschleppungen alawitischer Frauen aus den Orten des Massakers. Auch Kongra Star dokumentiert diese Verbrechen.
Im Mai stürmten Bewaffnete, deren Kleidung sie als Angehörige der Sicherheitskräfte des neuen Regimes auswies, mehrere Clubs in einem säkularen Ausgehviertel von Damaskus. Sie eröffneten das Feuer, töteten eine junge Tänzerin und verletzten zwei weitere Frauen. Im Juni gerieten Christen ins Visier: Ein Selbstmordanschlag der islamistischen Splittergruppe Saraya Ansar al-Sunna – bestehend auch aus ehemaligen HTS-Milizionären, die an den Übergriffen auf Alawiten beteiligt waren – forderte zahlreiche Opfer. Im Juli verübten sunnitische Beduinenstämme, unterstützt von Einheiten der syrischen Regierungstruppen, in Suweida ein Massaker an Drusen, begleitet von geschlechtsspezifischer Gewalt und der Entführung von Frauen. Erst jüngst – Ende November – sind Alawiten in Homs wieder Ziel gewalttätiger Übergriffe geworden.
Für den Zusammenhang von islamistischen Aggressionen gegen als "Frevler" markierte Minderheiten und Frauen sind Kurden aus leidvoller Erfahrung besonders sensibilisiert – eine Form der Intersektionalität, von der westliche Linke nur lernen können. Der Fall Hevrîn Xelef, deren Ermordung sich am 12. Oktober 2025 zum sechsten Mal jährte, bildete den Startpunkt für die Kampagne von Kongra Star. Xelef, ihrerzeit Generalsekretärin der Future Syria Party, setzte sich für ein säkulares, dezentrales und nicht-ethnizistisches Syrien ein. Am 12. Oktober 2019 wurde sie an einem Kontrollpunkt der islamistischen Rebellengruppe Ahrar al-Sharqiya unter frenetischem "Allahu Akbar"-Jubel brutal hingerichtet. Als im Mai 2025 bekannt wurde, dass al-Scharaa den mutmaßlichen Hauptverantwortlichen der Exekution, Abu Hatem Shaqra (Ahmad Ihsan Fayyad al-Hayes), zum Kommandeur der 86. Division des neuen syrischen Heeres ernannt hatte, löste dies breites Entsetzen unter Frauenorganisationen in Syrien und Rojava aus. Dies verlieh der Kampagne zusätzliche Dringlichkeit.
Die Gewalt auf den Straßen wird flankiert von einer systematischen politischen Benachteiligung von Frauen und ethnischen Minderheiten. Als durchweg undemokratisch gelten Experten zufolge die ersten Parlamentswahlen der Interimsregierung am 5. Oktober. Ein Drittel der Sitze wird direkt von Übergangspräsident Ahmed al-Scharaa vergeben, der Rest über ein verschachteltes Wahlmänner-System, dessen Komitees ebenfalls von al-Scharaa implementiert wurden. Von einer Volkswahl kann keine Rede sein. Ganze Regionen wie das kurdische Rojava und die drusische Provinz Suweida waren ohne jede Möglichkeit politischer Repräsentation vollständig ausgeschlossen.
Auch das Wahlergebnis zeigt ein eklatantes geschlechtliches und religiöses Ungleichgewicht: Von mehr als 1.500 Kandidierenden waren nur 14 Prozent weiblich, im neuen Parlament sitzen schließlich nur 4 Prozent Frauen. Christen sind mit nur zwei Abgeordneten ebenso marginalisiert. Zivilgesellschaftlich, so warnt Adel Hawrami gegenüber dem hpd, geraten "besonders Journalistinnen und gesellschaftlich aktive Frauen ins Visier der Behörden". Auch der Zugang von Frauen zu Bildung werde "zunehmend eingeschränkt", betonte der Vertreter des Kurdistan Future Movement.
Al-Scharaas Metamorphose
Gleichzeitig hofiert der Westen al-Scharaa, vormals al-Jolani, weiterhin als "Hoffnungsträger" für ein "neues Syrien". Donald Trump empfing ihn jüngst als ersten syrischen Präsidenten im Weißen Haus. Auch Bundeskanzler Friedrich Merz wird den Übergangspräsidenten zu Gesprächen nach Berlin einladen. Bis kurz vor dem USA-Besuch stand al-Scharaa samt Kopfgeld auf der US-Terrorliste. Für die Audienz im Oval Office hob Washington die Sanktionen auf. Schon die bewusste Vermeidung seines Kampfnamens zugunsten des bürgerlichen "al-Scharaa" spricht Bände: Der einstige Gewaltextremist ist salonfähig geworden.

Seine Karriere vom Jihadisten zum Staatsmann ist gut dokumentiert. 2003 kämpfte er im Irak als Mitglied von Al-Qaida. 2006 geriet er in US-Gewahrsam und verbrachte mehrere Jahre in Haftanstalten wie dem berüchtigten Camp Bucca. Nach seiner Freilassung 2011/12 (die Angaben variieren) gründete er die Al-Nusra-Front, den syrischen Ableger von Al-Qaida, und etablierte sich unter dem Codenamen Al-Jolani. 2012 übernahm er die Führung der Organisation. 2015 verweigerte er die Unterordnung unter den IS und hielt stattdessen an der Loyalität zu Al-Qaida-Chef Ayman al-Zawahiri fest. 2016 benannte er die Gruppe in Jabhat Fatah al-Sham um, um die Bindung an Al-Qaida zu kaschieren. 2017 fusionierte das Al-Nusra-Produkt zu Hai’at Tahrir al-Sham (HTS), deren Anführer Al-Jolani blieb. Im Chaos des Bürgerkriegs konsolidierte HTS seine Macht in Idlib. Die von HTS und türkeinahen Truppen geführte Offensive auf Damaskus im Dezember 2024 führte schließlich zum Sturz des Assad-Regimes. Heute nennt Abu Mohammed Al-Jolani sich Ahmed al-Scharaa und trägt statt Kampfmontur Anzug. Er ist das Paradebeispiel eines Islamisten im Nadelstreifen.
Kurdische Frauenbewegung – die Antipode zum Islamismus
Der Ablösung der Baath-Diktatur durch ein islamistisches Emirat setzt die Kampagne von Kongra Star einen universalistischen Feminismus entgegen. Der Frauenverband fordert eine Reform der vorläufigen syrischen Verfassung, um Schutzrechte für Frauen vor Diskriminierung und Gewalt rechtlich zu verankern, die Sicherheit ethnischer, kultureller und religiöser Gruppen zu garantieren und eine paritätische, das heißt 50-prozentige, Repräsentation von Frauen in allen staatlichen Institutionen umzusetzen.
Kritiker mögen einwenden, dass solche Anliegen sich an Gruppen statt Individuen orientieren. Tatsächlich ist gruppen- und konfessionsbezogene Gewalt in Syrien jedoch blanke Realität. Das Al-Scharaa-Regime zementiert diese, indem es Scharia-Bestimmungen weiter ausbaut und den Staatsapparat nahezu ausschließlich mit Sunniten besetzt – eine klare Machtasymmetrie zugunsten einer einzigen Gruppe. Geradezu revolutionär sind Kongra Stars Forderungen nach ethnischer und geschlechtlicher Gleichstellung in allen Bereichen. Sie trotzen dem sunnitisch-arabischen Überlegenheitsdünkel und dem patriarchalen Islam, konkret dem Diktat des derzeitigen Justizministers Mazhar al-Wais (Nachfolger von Shadi al-Waisi). Auch Mazhar al-Wais ist ein ehemaliger Al-Nusra-Veteran. Casar zufolge postulierte Mazhar al-Wais einst zur Eignung für das Richteramt: "Denn ein Sklave hat keine Autorität über sich selbst, wie kann er also Autorität über andere haben?" Unter dem Sklavenbegriff fallen all jene, die sein radikales Islamverständnis als unterlegen definiert: Anders- und Nichtgläubige, Frauen und sexuelle Minderheiten.
Auffällig ist, dass die Erwartungen von Kongra Star keinesfalls kurdische Partikularinteressen bedienen, sondern Frauenrechte als allgemeingültige Menschenrechte formulieren, die im Interesse aller Syrerinnen und Syrer stehen sollten. Das erklärt auch die Partnerschaft mit Zenobia Women's Gathering, der wohl wichtigsten Initiative für Frauenrechte in den mehrheitlich arabischen Gebieten Nord- und Ostsyriens. Genau dies scheint mit der "Einheit der Frauen" gemeint zu sein, die laut Kampagnentitel das freie Syrien aufbauen sollen.
"Im Norden und Osten Syriens entsteht konkret ein demokratisches Projekt, in dem jede Gemeinschaft ihren Platz hat und in dem Frauen den Kampf für Freiheit und Gerechtigkeit anführen", schreiben die Kampagneninitiatorinnen. Wahrhaftig hat die Demokratische Selbstverwaltung Nord- und Ostsyrien (AANES), auch Rojava genannt, in puncto politischer Emanzipation der Frau einiges vorzuweisen.
Zugespitzt lässt sich sagen, dass im Nahen und Mittleren Osten – neben Israel – einzig die kurdische Föderation in Syrien über eine formale rechtliche Gleichstellung der Geschlechter verfügt. Nirgendwo sonst in der Region existiert so ein umfassender Katalog an Frauenrechten wie in der AANES. Häusliche und sexuelle Gewalt, Zwangs- und Kinderehen, Polygamie sowie jede Form von Diskriminierung sind strafbar. Zahlreiche Frauenhäuser, die sogenannten "Mala Jin", bieten Schutz, Beratung und rechtliche Unterstützung. Politisch setzt die Selbstverwaltung auf Co-Vorsitzmodelle und feste Geschlechterquoten, sodass zentrale Ämter grundsätzlich doppelt, von einer Frau und einem Mann, besetzt sind. Frauen haben Anspruch auf gleiche Löhne, Arbeitsbedingungen und Erbanteile. Heiraten dürfen Frauen erst ab 18 Jahren. Neben der zivilen Gleichstellung sind Frauen in den Sicherheits- und Verteidigungsstrukturen umfassend eingebunden. Laut Wikipedia hat Kongra Star maßgeblich zur Stärkung fortschrittlicher Geschlechterverhältnisse in Rojava beigetragen. Die genannten Regelungen gelten ethnien- und religionsübergreifend, also für Kurdinnen, Araberinnen, Assyrerinnen, Christeninnen oder Jesidinnen gleichermaßen. Erneut muss betont werden, dass Rojava – wieder nur vergleichbar mit Israel – ein nahezu beispielloses Schutzniveau für ethnische und religiöse Minderheiten im Nahen Osten aufweist.
Doch die Wirklichkeit ist mit dem Gesetz nicht identisch: Auch ein großer Teil der syrischen Kurden ist konservativ sunnitisch geprägt. Zudem herrschen Normen einer archaischen Ehrkultur vor. Daten der NGO Syrians for Truth and Justice zufolge wurden in Nordostsyrien zwischen 2019 und 2022 mindestens 129 Frauen durch Ehrenmorde getötet und 557 Frauen traf häusliche Gewalt. Den entscheidenden Unterschied macht, dass bedrohte Frauen sich in Rojava auf gesetzlich verbriefte Schutzrechte berufen können – und es weibliche Sicherheitskräfte gibt, die Männern die Stirn bieten.
Einen bemerkenswerten Eindruck hinterließ der heroische Einsatz kurdischer Frauenselbstverteidigungseinheiten (YPJ) ab 2014 gegen den Islamischen Staat. Die Dschihadisten fürchteten sich besonders vor dem Waffengang mit kurdischen Frauen, da die Tötung durch eine Frau nach ihrer Ideologie den Zugang zum Paradies blockiert. Zu dieser Zeit wurde der Slogan "Jin, Jiyan, Azadî" in der kurdischen Bewegung außerordentlich populär. Auch auf deutschen Straßen ertönte er – doch längst nicht im Ausmaß der Jina-Proteste 2022/2023. Kurdische Frauen haben im Kampf gegen das Kalifat einen enormen Blutzoll geleistet und maßgeblich zur Befreiung jesidischer Sklavinnen beigetragen – eine Realität, die im Westen nur wenig Anerkennung erhält. Ebenfalls nicht zu vernachlässigen ist die emanzipatorische Bedeutung der kurdischen Frauentruppen. Der Militärdienst bietet vielen Frauen eine essenzielle Chance, der vorgegebenen Rolle im Haushalt zwischen Kinder(re)produktion und Küche zu entkommen.1
Kampagnenende und Zukunft
Umgeben von patriarchalen Gewaltherrschaften, erscheint Rojava als stets bedrohter Vorschein eines besseren Morgens. Kongra Star resümiert, dass "kein Friedensprozess und keine politische Lösung in Syrien die gewünschte Stabilität erreichen kann", ohne "volle Beteiligung von und fairen Bedingungen für Frauen". Wie soll Frieden entstehen, wenn die Hälfte der Bevölkerung unterdrückt wird? Wie soll Wohlstand gedeihen, wenn Frauen an Bildung gehindert und von finanzieller Autonomie ausgeschlossen werden? Überall, wo Frauen entrechtet werden, herrschen Konflikte, Verelendung und Kriege.
Islamisten und Clanführer ehrkultureller Gemeinschaften reglementieren die Mobilität und Sexualität von Frauen, um Nachkommen – und damit ihre eigene Macht – zu sichern. Ihre Gewalt dient der Kontrolle der familiären, ethnischen und religiösen Reproduktion. Genau deshalb werden den Frauen ihre Rechte genommen. Denn: Bewegt sich die Frau, wackelt das Patriarchat. Das hat Kongra Star längst erkannt. Die Kampfansage an den Islamismus "Jin, Jiyan, Azadî" (Frau, Leben, Freiheit) bringt es prägnant auf den Punkt.
Am 14. November endete die Aktion der Frauenrechtsorganisationen. Die Initiatorinnen berichten von globaler Resonanz und Dutzenden Unterstützungsbekundungen in Form von Videobotschaften, Zuschriften und Seminaren. Als zentralen Erfolg bewerten Kongra Star und Zenobia Women's Gathering die Übergabe ihrer Forderungen in einem Offenen Brief an die Vereinten Nationen.
Was man sich für eine feministische Revolution in Syrien nur wünschen kann und was bei "Jin, Jiyan, Azadî" im Iran 2022/2023 zu beobachten war, wäre eine Einmischung der Männer, auch über die kurdischen Regionen hinaus. Das erfordert angesichts der Inkaufnahme öffentlicher "Entehrung" erheblichen Mut, da Männer, die sich selbstbestimmten Frauen anschließen, als schwach und impotent gelten. Doch wenn sich Männer – oberflächlich betrachtet die Profiteure des Patriarchats – anschließen und zum Beispiel sagen: "Wir wollen nicht, dass unsere Tochter ihr Leben lang unglücklich ist, weil sie auf Geheiß der Familie heiraten musste", dann kann die patriarchal-kollektivistische Ordnung fallen.
1 Siehe dazu: Huch, T., (2018). Kurdistan: wie ein unterdrücktes Volk den Mittleren Osten stabilisiert. Riva Verlag. S. 109-122






